Ausstellung „Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale“
Noch 30 Jahre nach dem Anschluss der DDR löst der Name Treuhandanstalt im Osten starke Gefühle aus. Vom genervt bis tieftraurig oder wütend reagieren die Menschen, die das große Deindustrialisierungsprojekt im Ostens selbst miterlebt haben. Durch Betriebsschließungen, Massenentlassungen und Abwertung von Lebenserfahrungen wurde die ostdeutsche Bevölkerung entwürdigt und sozial entwurzelt. Weder ernstgenommen noch wertgeschätzt, erlebten viele ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Verlust gewohnter Strukturen und Zukunftsaussichten. Die resultierende Resignation sowie Armut und fehlende Chancen prägten auch die nachfolgenden Generationen.
In Cottbus machte die Treuhand den Verkauf von Teilen der Stadtpromenade möglich, der letztendlich in Verfall und Zerstörung mündete. Die Innenstadtbrache erinnert die Cottbuserinnen und Cottbuser, die täglich an ihr vorbeilaufen heute noch daran, wie Privatisierung einfach über ihre Köpfe hinweg durchgesetzt wurden. Die Geschichte unserer Stadtpromenade ist eingebunden in die Geschichte der Entwürdigung der ostdeutschen Bevölkerung nach der Wende.
Aus diesem Grund bringt Stadtpromenade für alle in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Ausstellung „Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale“ nach Cottbus. Vom 20. März bis zum 25. März sollte die Ausstellung in der BÜHNE acht, in der Erich-Weinert-Str. 2, zu sehen sein und von einem vielfältigen Rahmenprogramm begleitet werden. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten die ursprünglichen Termine entfallen. Unter Wahrung eines geeigneten Abstand zwischen den Besucherinnen und Besuchern konnten wir die Ausstelung aber an den Nachholterminen am 08.-10. Mai und 15.-17. Mai, jeweils von 15:00 bis 20:00 Uhr öffnen.
Im Zentrum der Ausstellung stehen die persönlichen Geschichten von Betroffenen, deren Lebenswege maßgeblich durch die Aktivitäten der Treuhand geprägt wurden. Sie waren zur Wendezeit beispielsweise Schlosser auf der Neptunwerft Rostock, Kranführerin im Stahlwerk Riesa, Maurer im Chemiekombinat Buna, Kumpel im Kaliwerk Bischofferode oder Fernsehelektronikerin in Oberschöneweide. Als lebensgroße Porträts treten sie den Besuchern in der Ausstellung buchstäblich auf Augenhöhe gegenüber und berichten von ihren Erfahrungen. Über QR-Code können kurze Sequenzen aus ihren Erzählungen angehört werden, in denen sich die damalige Stimmungslage auch heute noch widerspiegelt.
Die Geschichten sind eng verbunden mit 13 ausgewählten Branchen und Betrieben, welche der Treuhandanstalt ausgesetzt waren. Zusammen bilden sie exemplarisch die große Bandbreite der Zerstörungen und Schicksalsschläge ab und machen sie durch ihre große persönliche Nähe besonders greifbar. Historisch und politisch eingeordnet wird das Agieren der Treuhand durch den Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler, die Politiker Christa Luft, Hans Modrow und Bodo Ramelow sowie den DDR-Oppositionellen Bernd Gehrke.
Ausschnitte aus der Ausstellung
Das ursprüngliche Begleitprogramm
Das Begleitprogramm sollte unter anderem einen Erzählsalon der Ausstellungskuratorinnen von Rohnstock Biografien, eine Lesung mit dem ehemaligen Staatstheater-Schauspieler Michael Becker sowie die Vorstellung der Buch-Neuerscheinung „Das Treuhandtrauma. Spätfolgen der Übernahme“ von Kultursoziologin Dr. Yana Milev umfassen. Insbesondere zum Erzählsalon sollten alle Cottbuserinnen und Cottbuser herzlich eingeladen werden, von ihren Erfahrungen mit der Treuhand zu erzählen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Aufgrund der Corona-Epidemie konnten wir diese Programmpunkte leider nicht durchführen.
Fr, 20. März 18:30 Uhr: Buchvorstellung „Das Treuhandtrauma. Die Spätfolgen der Übernahme“ mit Autorin Yana Milev
Seit Jahren untersucht die Schweizer Soziologin Yana Milev die Folgen des Untergangs der DDR für die Ostdeutschen. Sie hat die Auswirkungen der Bonner Abwicklungs- und Anschlusspolitik seziert und die mediale Begleitung der Übernahme analysiert. Im Zentrum ihrer Untersuchungen steht die Treuhandanstalt als Vollstreckerin des politischen Willens der Mächtigen der alten Bundesrepublik. Milev spricht deutlich und offen aus, was Politik und „Leitmedien“ verschweigen. Ihre Thesen lauten: die „friedliche Revolution“ – sie war keine. Die Abwesenheit physischer Gewalt bedeutete nicht, dass es nicht psychischen Druck und andere Formen der Übernahme gab. Weiter: die „Wiedervereinigung“ – es war keine. Es haben sich nicht zwei Staaten vereinigt, sondern der eine übernahm den anderen. Und schließlich: Um das von Kohl 1990 verkündete „Wohlstandsversprechen“ zu widerlegen genügt die Statistik. Und schließlich: „Wir sind ein Volk“ – mitnichten. Die Ost- und die Westdeutschen haben aufgrund der komplementären gesellschaftlichen Entwicklungen unterschiedliche Erfahrungen. Die Herkunft und Geschichte Ostdeutschen wurden mit der „Wiedervereinigung“entwertet,anstatt wertgeschätzt. Damit führt Milev vehement der Behauptung von der erfolgreichen „Transformation des Ostens“ ad absurdum. Und sie belegt, dass die Treuhandpolitik im Regierungsauftrag des Bonner Kabinetts zu einer Kulturkatastrophe führte, deren gesellschaftliche Aufarbeitung erst am Anfang steht.
Die 1964 in Leipzig geborene Autorin absolvierte zunächst ein Kunststudium in Dresden und fand u. a. 1997 als Documentakünstlerin große Beachtung. Nach zweijährigem Studienaufenthalt in Japan und einem Doktoratsstudium in Wien folgten 2008 die Promotion zur Dr. phil., 2014 die Habilitation an der Universität St. Gallen. Gegenwärtig wirkt Yana Milev als Privatdozentin für Kultursoziologie an der Universität St. Gallen.
So, 22. März 16:00 Uhr: Lesung mit Michael Becker
Michael Becker war Schauspieler am Cottbuser Staatstheater und arbeitet als Theaterregisseur und Autor.
Im Rahmen der Ausstellung wird er einen Brief von Käthe Reichel an die ehemalige Treuhandchefin Birgit Breuel verlesen, welcher 1993 anlässlich des Hungerstreiks der Kalikumpel gegen die Schließung des VEB Kaliwerk „Thomas Müntzer“ Bischofferode entstand. Der mutige Kampf der Bergleute gegen die dreiste Zerschlagung ihres Werks als Maßnahme zu Gunsten des westdeutschen BASF-Konzerns, der in direkter Konkurrenz zu ihnen Stand, gehört zu den wenigen großen Widerstandsaktionen gegen Treuhandwillkür.
Mi, 25. März 18:30 Uhr: Erzählsalon „Meine Erfahrungen mit der Treuhandpolitik“
+++ Aufgrund der aktuellen Einschränkungen durch die Corona-Epidemie muss der Erzählsalon leider entfallen. +++
In einem geschützten Raum sitzen Menschen beieinander und erzählen einander Geschichten aus ihrem (Arbeits-) Leben – moderiert von einer bei Rohnstock Biografien ausgebildeten Salonnière oder einem ausgebildeten Salonnier. Das jeweilige Thema ist im Voraus bekannt. Alle Teilnehmer können sich gedanklich darauf einstimmen, brauchen sich jedoch nicht aufwendig vorzubereiten. Anders als eine Talkshow hat der Erzählsalon eine feste Struktur, in der jeder gleichberechtigt ist. Jeder kann erzählen. Ist der eine fertig, knüpft der nächste an – nicht streng reihum, sondern so wie der Anfang einer neuen Geschichte an das Ende der vorangegangenen passt.
So entfaltet sich in zwei Stunden ein Universum an Lebenserfahrungen – und es entstehen Geschichten über Erlebnisse, die sonst unerzählt blieben.
Thema der Veranstaltung sind die Erfahrungen von Menschen aus Cottbus und Umgebung mit der Treuhandanstalt. Dazu sind alle, die erzählen möchten herzlich eingeladen. Bitte pünktlich erscheinen, damit sich die Teilnehmenden ungestört austauschen können.
Mehr Informationen unter:
https://www.rohnstock-biografien.de/erzaehlsalon/